Wenn ein Säugling weint, und andere hören ihn weinen, weinen sie mit. Sie können sich nicht dagegen wehren, in ihnen bildet sich die Befindlichkeit ihres Leidensgenossen ab, und sie drücken sie aus. Die Fähigkeit mitzufühlen hat eine physiologische Entsprechung: Das Gehirn verfügt über "Spiegelneuronen", die die Gefühlslage eines Gegenübers unmittelbar erfassen und im eigenen Empfinden abbilden. Das funktioniert nicht nur mit Gefühlen: wenn man anderen dabei zusieht, sie sie mit ihrem Körper etwas tun, lassen sich auch im Körper des Zuschauers entsprechende nervenelektrische und muskuläre Impulse messen. >
Diese Fähigkeit, in Resonanz zu gehen, kann es uns leichter machen, andere zu verstehen und mit ihnen zu kommunizieren. Vorausgesetzt, wir können mit den Gefühlssignalen umgehen, die wir in uns finden - mit den eigenen und dann auch noch mit den importierten. Das ist für den Menschen, der in westlicher Tradition erzogen wurde, nicht selbstverständlich.
Anders als beispielsweise im alten Indien, wo ein Kind bis zum 6. Jahr bedingungslose Liebe erfährt und erst dann diszipliniert und erzogen wurde, lehrt man in unserer Kultur schon kleine Kinder, dass es erwünschte und unerwünschte Gefühle gibt, und dass wir ein Bild von ihnen haben, dem sie entsprechen sollten, wenn sie keinen Ärger mit den Erwachsenen bekommen wollen. Für ein Kind ist Zugehörigkeit zum Familienrudel von existenzieller Bedeutung, denn es kann aus eigener Kraft nicht überleben. Und so wird es aus Angst vor dem Ausgestoßen-Werden damit beginnen, Gefühle zu unterdrücken oder zu verleugnen, so gut es eben geht. Spätestens ab dem Alter von 3 Jahren kann es damit beginnen und eine Schein-Identität entwickeln, in der es versucht, lieber pflegeleicht als authentisch zu sein.
Das kleine Kind bemüht sich darum, das Bild, das die Erwachsenen von ihm haben, als verbindlich zu übernehmen und alle authentischen Impulse aus dem eigenen Inneren, die diesem Bild zuwiderlaufen, abzulehnen. Es beginnt, sich selbst nur dann zu akzeptieren, wenn es dem ihm aufgedrückten Bild entspricht, und sich abzulehnen, wenn es aus der Rolle fällt. Als Folge haben die meisten von uns eine wenig liebevolle Beziehung zur eigenen Person.
Was wird passieren, wenn uns ein Mitmensch im späteren Leben eine Emotion oder ein Lebensgefühl zeigt, das wir mit hohem Energieeinsatz zu verdrängen und zu verleugnen gelernt haben? Die Spiegelneuronen sprechen an und bilden den Zustand im eigenen Inneren ab, aber er darf ja nicht gefühlt werden - also entsteht innere Verhärtung und Zorn gegen den auslösenden Mitmenschen. Wir fordern von ihm ein, dass er sich ändere, damit wir uns wieder besser fühlen können ...
Wie sehen Beziehungen aus, deren Partner sich auf diese Weise aneinander abarbeiten, bis der langsam ansteigende Druck zur Explosion führt? Vielleicht haben diese Partner einander anfangs angezogen, weil sie im jeweils anderen zunächst die erfolgreiche Unterdrückung der eigenen unerwünschten Gefühlsmuster wahrgenommen hatten? Später, wenn der Lack langsam dünner wird und vom Alltagsleben abgerieben wird, entsteht in einer solchen Beziehung mit unerwünschter Intensität genau das Lebensgefühl, von dem man sich vorgenommen hat, es nie wieder erleben zu wollen. Und an wem liegt es wohl? Selbstverständlich an diesem Partner, mit dem man nunmehr keinen Tag länger zusammen bleiben will ...
Und zu welcher Tiefe des Verständnisses füreinander, zu welcher wunderbaren gegenseitigen Förderung des inneren Wachstums können sich dagegen Beziehungen zwischen Menschen entwickeln, die daran arbeiten, die bewusste Herrschaft über sich selbst zu gewinnen? Das kann zunächst mit Therapie zu tun haben, mit seelischer Heilung, aber die Entwicklung bleibt dabei nicht stehen, sondern führt unmittelbar zur Erweiterung des Bewusstseins und zu beständig wachsender Lebensqualität.
Schwingen Sie mit anderen, und entwickeln Sie durch bewusste tägliche Reflexion Ihres Denkens, Fühlens und Handelns mehr und mehr liebevolles Verständnis - für sich selbst, und auch für Ihre Mitmenschen. Lassen sie sich davon überraschen, welche neuen Resonanzen in Ihrem Lebens- und Erlebensraum entstehen.